Das große Fressen

Über die Rache des Odin und die Game-Changer

▸ ♀ Alle Jahre wieder ♀
Der Weihnachtsmann steht vor der Tür, ganz so wie jedes Jahr. Es steht dort, sozusagen Arm in Arm mit Santa, der langanhaltende Verzehr von guten Speisen und Getränken.
Bei uns und wohl auch anderen praktizierenden Agnostikern, steht das Große Schlemmen – Nieselprieme nennen es: die Völlerei - inzwischen deutlichst im Vordergrund dieser 2 bis 3 Festtage.
Nicht falsch verstehen: wir lassen hier das ganze Jesus-Gedöns jetzt mal komplett außen vor. Nein darum geht es weder am Heiligen Abend, noch um den herum, und ebent auch nicht in diesen meinen euch hingeworfenen Zeilen.
Was ich sagen will ist: das Große Fressen ist inzwischen nicht nur – um das jetzt der Vollständigkeit halber doch nochmals zu wiederholen - wichtiger als uns Jesuskind und Konsorten, nein, das Große Fressen ist mittlerweile auch viel, viel wichtiger als das Schenken.
Warum das gut und richtig ist, werden wir am Ende dieser Geschichte wissen.

▸ ♀ Das Schenken ♀
So lasst mich nun mit ein kleinen Exkurs zum Schenken beginnen:
Schenken ist, und da machen wir uns nichts vor, ein am Christenfest gerne betriebener, jedoch durch und durch heidnischer Brauch.
Also, jedenfalls bei allem, was über die Überbringung weihgeräucherter oder myrrhehaltiger Mitbringsel hinausreicht.

Das ist aber absolut o.k. und kein simpel barbarischer Frevel.

Nein, ganz im Gegenteil, Es war schon immer, also, mit anderen Worten, seit Geburt des Heilands, ein charakteristisches, wiedererkennbares Vorgehensmodell bei der Überbringung seiner Lehren, nicht nur auf dem nur einem Bein seiner Großen Wahrheiten voranzuhüpfen.

Das erfolgreiche Vorwärtsschreiten bei der Christianisierung von Heidenvölkern wurde seit der oben bereits erwähnten Geburt des Großen Nazareners, vor allem mithilfe eines zweiten Standbeines, dem der Volksnähe, gewährleistet. Das fängt halt schon beim Datum von Weihnachten an was ja in verdächtiger Nähe alter, finster-germanischer Sonnenwendebräuche liegt und geht dann mit dem ganzen Brimborium, dem Baum, dem Lametta, früher war übrigens mehr Lametta, recht nahtlos über zur gegenseitigen Überreichung von Geschenken.

Wobei wir zunehmend feststellen müssen, dass die Grenzen vom Schenken zum Schrottwichteln hier teil-und mittlerweile fließend verlaufen.
An dieser Stelle möchte ich diesen kleinen Exkurs zum Schenken aber zunächst einmal beenden. Ich bitte meine Zuhörer oder Leser lediglich, den Begriff "Schrottwichteln" fest im Hinterkopf zu halten weil ich darauf später noch einmal zurückkommen muss.

▸ ♀ Essen und Trinken ♀
Ich möchte also den Schärfefokus meiner Erzählung, die ja den Titel "das Große Fressen" trägt wieder der festtäglichen Ernährung zuwenden und eine kleine Geschichte, die nicht im Gelobten Land ihre Herkunft findet, sondern beim Aldi Süd Lohausen, einflechten:
Einem üppigen Mahl geht schließlich ein aufwendiger Einkauf stets zwingend voraus, und dort begab es sich am Tage vor dem Heiligen Abend, wo meine mich liebende Frau Petra im Geschäft von der überbordenden Waren-Präsenz erdrückt wird und hierzu mir als Ihrem treusten Jünger und Gefolgsmann mitteilt:
"Dieses ganze Weihnachts-Gedöns ist viel zu viel; wenn es nur für mich wäre, dann würde ich es nicht machen."
Das muss man erst mal sacken lassen: Weihnachten das sind immer die anderen. Frei nach Jean-Paul Sartres Vorstellung von der Hölle, die auch immer die anderen sind; das Buch dazu heißt: "die geschlossene Gesellschaft"; Ich glaube, ich habe das noch als Reklam-Ausgabe irgendwo im Keller. Tolle Idee fürs Schrottwichteln morgen.

Immer wieder? Oder Alle Jahre wieder? Aber können wir den wirklich nichts daran ändern?
Wie wäre es, wenn man selber Game-Changer wird? Wenn man seinen Einfluss geltend machen kann, um die Dinge zu ändern!?

Ja wie wäre das denn eigentlich? Und so sage ich noch auf dem Aldi Parkplatz zu meiner Frau Petra: Lewis Hamilton der Rennfahrer setzt sich auch dafür ein dass Mercedes kein Leder mehr verbaut, also, im Innenraum von den Mercedessen.
Lewis der Game-Changer.
Der Einfluss, den Lewis in den sozialen Medien geltend machen kann ist nun zweifellos wesentlich größer als der von Petra. Auch kann er, das soll hier nicht gänzlich unter den Tisch fallen, viel besser Auto fahren.

Was jedoch hindert uns selber daran, die Spielregeln zu wechseln?

▸ ♀ Zen ♀
Vielleicht zum Beispiel so wie die beiden entspannten Zeitgenossen, deren Unterredung die Petra darinnen im Aldi teilhaftig wurde:
"Wir fahren dieses Jahr in ein Zen Kloster."
"Und die Mutter?"
"Die nehmen wir einfach mit."

Sehr schön. Der Gedanke an die mitgenommene Mutter, die sich mir nichts dir nichts im Schweigekloster wiederfindet und jetzt einfach mal die Fresse halten muss, versöhnt Petra und mich, als sie mir das später berichtet, für einen kurzen Augenblick mit der Welt und unseren Mitmenschen.

Aber: Warum stehen zwei Männer, die Weihnachten ins Kloster wollen, am Tag davor noch bei Aldi und kaufen sich Lebensmittel!? Die Erklärung ist schnell gefunden: Wahrscheinlich hauen beide sich heute noch mal so richtig den Ranzen voll, damit sie den mit Askese, Fleischlosigkeit und Kontemplation geprägten kommenden Daseins-Abschnitt in diesem Kloster auch gut überstehen.
Die mitgenommene Mutter jedoch, die sich ihren Hunger für die Festtage vielleicht eisern aufgespart hat, hat dann da wirklich die schlechteren Karten - schon gemein, ne!?

Da liegen die Parallelen auf der Hand zu uns Oma Walli, die – obgleich sie zugleich ja auch die Mutter aller religions-kritischen Haltungen im Hause Tietz war – zu ihrer Zeit voll der Absicht war, am christlichen Fasten teilzunehmen. Dies allerdings nicht aus geistlichen, transzendentalen Gründen, sondern aus den völlig diesseitigen Motiven der Reduktion von Gewicht und Umfang ihres profanen irdischen Körpers.
Und die kommende Zeit der Entbehrung und Entschlackung stets im Hinterkopf, da schlug die Waltraud nochmal so richtig zu, also bei Speise und Getränk.
Als, es soweit war, und sie dann das Fasten nach einem halben Tag wieder abbrach – natürlich nicht ohne Hinweis-Gabe auf den blanken Unsinn der religiösen Begründungen dieses Christenbrauches - war das, in Summe, dem oben umrissenen Ziel der Gewichtsreduktion nicht wirklich zuträglich gewesen.

Ich möchte hier ein kleines Zwischenfazit stellen:
Wir haben also festgestellt, dass Pappnasen, die Weihnachten ins Kloster fahren, die Geschichte dieser ihrer Weihnacht verändern, aber macht sie das etwa wirklich zu Game–Changern!? Ich denke nein; Das ist mehr so "1x aussetzen", stellt aber das Spiel, die Regeln, nicht grundsätzlich in Frage, und ändert ja auch nix.

Oma Walli hingegen stellte die Regeln grundsätzlich in Frage. Sie nahm immer die Roten Würfel und Figuren; Aber macht sie das zur Game-Changerin?

▸ ♀ Oh Odin, du Göttervater der Schrottwichtel! ♀
Und dies ist just der erzählerische Moment, auf Schenken und das Schrottwichteln zurückzukommen. Wir haben ganz zu Beginn dieser weihnachtlichen Ausführungen euch erzählt, dass das Schenken die Christen schon bei den Heiden abgeguckt haben.
Was sind aber ist es, das das herrliche Fest des Schenkens zu einem "Wichtel Mich Event" mutieren lässt?
Nun, wir wissen es nicht.

Aber es erscheint zumindest mir sehr nachvollziehbar, dass es sich hierbei um die Rache von keinem geringeren als Odin handelt.
Um das zu verstehen, muss man sich natürlich auch ein wenig mit der Geschichte auskennen, und wenn ich in eure Gesichter hier schauen könnte, so erschiene es mir notwendig, hier noch mal ein wenig Nachhilfe zu leisten:

Die Völker des Nordens haben das Wichteln erfunden. Sie überbrachten sich untereinander lustige Geschenke und losten aus was für wen war. Und weil das auf die Dauer nicht wirklich sinn-stiftend ist, und es vielleicht auch blöd, wenn man immer dieselben Dinge hin und her schenkt, fingen die wilden Männer des Nordens, die Wikinger, an, andere Länder zu überfallen.

Mordend, brandschatzend und vor allem plündernd zogen sie durch halb Europa. Sie hatten Hauptstützpunkte hier bei Aachen und auch in Duisburg.

Vielleicht wisst ihr das auch; aber wisst ihr auch, wer genau diese wilden wichtelnden Mordbuben am Ende besiegte!?
Die Antwort lautet:

  1. niemand, und
  2. die Frauen.

Wie im Allgemeinen üblich, so nahmen auch die Wikinger zum Raubmorden und Brandschatzen eher selten die ganze Familie mit; das war schon mehr so Männersache.
Und je länger die Streifzüge dauerten, umso wahrscheinlicher war es, dass die Jungs sich dann vor Ort mit den heimischen Frauen aus der Region die Zeit vertrieben. Und was mit vielleicht kleinen Wichteleien unter Nachbarn begann, endete dann oft in festen Beziehungen.
Die Kinder dieser gemischten Beziehung (quasi halb wilde Ehen - haha) wurden dann vornehmlich von ihren Müttern erzogen. Und während die Väter weiter ihren derben Gewohnheiten nachgingen, wuchs - quasi unter ihren Augen, jedoch unbemerkt - eine Generation von neuen Männern heran, die als echte Muttersöhnchen mit Morden, Plündern und Brandschatzen nicht mehr allzu viel am Hut hatten.
Die Raubfrauen der Wikinger sind die vielleicht ersten Game Changer im rheinischen Raum gewesen.
Somit ist hoffentlich erklärt was hier mit Odin Rache gemeint ist: das Räubervolk der Wikinger wurde von den Frauen Rheinlands unschädlich gemacht. Vielleicht haben diese dabei ein klitzekleines Detail übersehen und die Türe für das Gewichtel einen Spalt zu weit offen gelassen. Dort schlüpfen dann die nordischen Götter hindurch und bestrafen unsere Familien ein jedes Jahr am 24. dafür.

Sie wollen die Rules of The Game wieder zurückverwandeln - doch wir lassen das nicht zu!

Wir ehren das immerwährend Weibliche, dass sich in unseren Müttern Frauen und Töchtern manifestiert.
Wir danken ihnen für die Befreiung von der Barbarei und betrachten das Gewichtel und das Geschenke als eine Nebensache.

Nein, wir rücken das Große Fressen ganz bewusst in den Mittelpunkt der Festtage, und wir lassen den doofen Odin sein kleines, böses aber letztlich doch ganz und gar unwichtiges Tischfeuerwerklein der Wichtelgaben entzünden.

Ja, wir lehnen uns zurück und wir senden winkend einen ehrerbietigen Gruß zu unseren Frauen in der Küche, die uns das Große Fressen bereiten und dann den Großen Abwasch mit einem Lächeln erledigen.
Ladys, you changed the Game!

Jörg Jörg

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