Doris hilft

Wolfgang Welt

Ich mochte die Wälder. Ich war schon lange in keinem mehr gewesen. Zuletzt in Witten, als ich einen Baum suchte, an dem ich mich auf- hängen konnte.

In loser Folge bespreche ich, wie ihr wisst, in meiner "Rezensions-Rubrik" Bücher anderer Autoren.
Hier möchte ich euch "Doris hilft" von Wolfgang Welt näher bringen. Ich will es dabei eigentlich gar nicht besprechen, sondern "Doris hilft" für sich sprechen lassen.

Ich hatte dies schon länger vor, musste aber erst drei Barrieren überwinden:

Barriere Eins: Die Scham
Ich kannte Wolfgang persönlich. Die Nachricht von seinem Tod hat mich traurig gemacht. Auch, dass er erst dann, in Form eines Nachrufes im “Spiegel”, eine ihm angemessene Würdigung erhielt . Als ich ihn kennenlernen durfte - es war so gegen 1999, haben ihm die Kollegen des Schauspielhaus Bochum eine Lesebühne im ZadEck bereitet (heute heißt dieser Ort, kein Witz, "Oval Office", und sei ein "ein Knotenpunkt im Netzwerk der vielfältigen freien, queeren, politischen Szene in Bochum"). Aber sie haben ihn ganz sicher nicht angemessen gewürdigt.
Wolfgang Welt wurde mir - natürlich in seiner Abwesenheit - so vorgestellt: “Der schreibt auch Bücher und wohnt noch bei seiner Mutter. Er hat nicht ganz alle Latten am Zaun.”
So habe ich ihn dann gesehen, wenn wir uns bei Schichtwechsel die Klinke in die Hand gaben.
Mit dieser Scham umzugehen, ist die erste Barriere die ich hier überwinden muss.

Weiterführende Links zum Thema "Scham":
Link 1 zur Scham: Sodastream - Shame or Glory
Link 2 zur Scham: shame shame-imaginary christmas
Link 3 zur Scham: "Shame" by Gabriel B. Arrahnio

Barriere Zwei: Die Technik
Die zweite Hürde ist dann eher trivialer Natur: wie bekomme ich eigentlich einen Text aus einem Buch möglichst elegant auf eine Webseite, ohne ihn abzutippen und wo ich zwar einen Scanner, aber kein OCR Programm besitze, was den Text für mich einlesen könnte.

Ich mache das wie folgt: Ich lege das Buch auf den Scanner und erstelle daraus eine Bilddatei ein JPEG. Das kopiere ich dann in Bill Gates Microsoft Onenote.

Für die die nicht wissen wer Bill Gates ist: Das ist der, von dem manche meiner Mitmenschen behaupten, dass er Teil einer Weltverschwörung sei, alle Menschen zwangs-impfen und chippen lassen wolle, kleine Kinder aufessen…
..so Sachen halt. Und weil er wohl mächtig Zaster auf Tasche hat.
Das möchte ich hier eigentlich nicht kommentieren; Aber als jemand, der sich mit MS OneNote, MSExcel, Teams, OneDrive und so herumschlägt, da kann ich schon situativ nachempfinden, dass man sich über den Bill auch schon mal ärgern kann.

Zurück zum Verfahren: nachdem ich das Buch-Text-Bild jetzt ins Onenote kopiert habe, dann gehe ich mit der Maus dadrauf; Mit der rechten Taste kann ich über das Kontextmenue den “Text aus dem Bild kopieren" wählen und schon habe ich den Text in der Zwischenablage.
Von dort kopiere ich ihn in mein Schreibprogramm. Ich nutze Scrivener. Dazu sage ich nichts. Denn dazu hat Gian Camichel aus der Schweiz schon alles gesagt, was ihr wissen müsst (DAS HIER IST EIN INTERNET-LINK!), wenn ihr es wissen wollt.

Barriere Drei: Unser Recht
Die dritte Barriere ist das Urheberrecht; Es verhält sich so:
Wenn ich Auszüge aus einem Werk zitiere dann reicht es nicht, dass lediglich das Verhältnis vom Auszug zum Gesamtwerk der Art ist, dass es noch als Auszug durchgeht.
Nein es muss auch in einem Kontext stehen. Ein Zitat darf nie um seiner selbst willen übernommen werden, sondern es muss einen Zweck erfüllen. Und diesen Zweck muss ein Zitierender also kontextvoll belegen, um keine Urheberrechtsverletzung zu begehen, die dann sogenannte Abmahnanwälte auf ihren Plan rufen könnte.

Mein Kontext ist:
A:
Ich las dies selbst auf dem Klo und ich bin praktizierender Klolektürenleser und Rezensent. ich zahle hierfür Steuern auf die Gewinne / aus den Gewinnen, die ich daraus erziele. Das Finanzamt Duisburg Süd lässt, das hat man mir gegenüber hier schon hinter kaum vorgehaltener Hand kolportiert, von diesen meinen Abgaben seine gesamte EDV auf Stand halten.

B:
Wolfgang Welt wird daneben auch in anderen meiner Werke noch erwähnt werden. ich plane zurzeit eine - wie soll ich es nennen - “Glosse” mit dem Titel “auf den Schultern von Riesen stehen”; Einer dieser Riesen ist, soviel sei schon verraten, Wolfgang Welt.
Eine weitere meiner Betrachtungen wird sich mit den großartigsten Buch-Anfängen in der Geschichte der Literatur befassen.
Wir alle kennen Klassiker wie
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott"
oder etwa:
Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.
Nicht ganz so geläufig ist die imho wirklich allergroßartigste aller jemals auf der deutschsprachigen Seite unseres Planeten Erde verfassten literarischen Eröffnungen; Und die hat Wolfgang Welt an den Anfang seines Werkes “Peggy Sue” gestellt:

Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung macht mir Sabine am Telefon Aussicht auf einen Fick, allerdings nicht mit ihr selber, sondern mit ihrer jüngeren Schwester.

Warum, fragst du mich, ist das jetzt so gut? Weil, ich will es dir verraten: Wer einen Leser "wie mich und dich" mit nur einem einzigen Satz in ein Buch hineinziehen möchte, wer ihn zum begierigen Weiterlesen geradezu zwingen möchte, der kann das nicht besser anstellen, oder!??
Mit dem einem Satz, der uns nicht kalt lasen kann.

Mit einem Satz, wie ein Griff ins Gemächt.

Genug, das reicht doch jetzt wohl zum Nachweis, dass der nun gleich folgende Auszug nachweislichst der Illustrierung meiner Ansichten dient.
Als ein Nachweis, dass ich also kein niederer Lump, Stehler, gar Verletzer von Rechten sein kann.
Als Nachweis, dass die Freiheit der Kunst hier nicht mein selbstverfasster Freibrief sein kann, sondern nur mein zutiefst ehrenwertes Motiv.

Die jetzt folgende urheberrechtlicherseits unbedenkliche, mit Hilfe von Bill Gates seiner Software bearbeitete Passage ist also aus Wolfgang Welts “Doris hilft”. Suhrkamp Verlag, Erste Auflage 2009. Seite 67ff. Die Rechtschreibung wurde beibehalten.

Last but not Least: Dieses Buch beginnt mit:
Kaum aus der Psychiatrie entlassen, holte ich mir auf meiner Mansarde einen runter
... auch nicht schlecht.

Zum Exzerpt:

Wir öffneten die Flasche, doch als ich ihr an die Wäsche wollte, lehnte sie ab. Ich bekam es im Kopf, stand auf und nahm die Sektflasche mit. Leck mich am Arsch, sagte ich und stürzte raus. Draußen warf ich die Flasche an die Hauswand, wo sie zerschmetterte. Ich ging die Straße weiter hoch und kam an einen Zaun, der nicht enden wollte. Ich kam auch nicht drüber.
Plötzlich fiel mir Kafka ein. Was hatte er damit zu tun? Ich kannte nur seine Verwandlung. War ich Gregor Samsa, hatte ich mich in ein Ungeziefer verwandelt?
Ich fühlte mich plötzlich wieder von Satellitenkameras beobachtet. Nach langem Suchen fand ich einen Weg zur Bahnstrecke, die ich entlangging. Zu Hause wollte ich zwanzig Tropfen Tesoprel einnehmen, es waren aber keine mehr da. Ich schlief unruhig und fühlte mich auch im Bett verfolgt. Morgens stand ich auf und fuhr zur Uni, immer in dem Bewußtsein, beobachtet zu werden. Ich hörte was über Barockromane und dachte, der Dozent spräche über mich und meinen Roman.

Ich fuhr zum Hummel hoch, um mir Tesoprel verschreiben zu lassen, aber ein Schild verkündete, daß er gerade an dem Tag einen vierzehntägigen Urlaub angetreten hatte. Eine Vertretung war angegeben. Ich traute mich aber nicht, zu ihm hinzugehen. Sollte ich sagen, ich sei Kafka? Der würde mich für verrückt halten. War ich es nicht auch? Oder war ich tatsächlich der größte Schriftsteller aller Zeiten, der nicht mehr schreiben mußte, sondern durch sein schieres Leben Literatur erzeugte? Das Leben schrieb den Roman ohne Maschine. Ich brauchte nicht mehr zu tippen. So würde ich aber kein Geld verdienen. Es würde immer für mich gesorgt. Da war ich sicher. Warum aber gerade ich?

War ich Gott? Vielleicht. Ich ging erst mal weiter zur Uni, wo sie auch in der Philosophie über mich lehrten. Ich ging
in die Beckett-Vorlesung von der Kesting, und als sie in den Hörsaal reinkam, dachte ich, sie sei Günter Grass mit
ihren schwarzen Haaren. Natürlich war ich überzeugt, sie würde über mich dozieren, ich sei Beckett wie in seinen
frühen Romanen. Ich war zufrieden und ging in eine Logik-Vorlesung von Menne, der über Funktoren sprach,
und ich dachte an Funktürme und daß sie meiner Beobachtung dienten.

Zurück in der S-Bahn, dachte ich, ich könnte durch reine Betrachtung mit jeder Frau kommunizieren, ja, ich
würde sie dabei ficken. Tele-ficken. Aber ich hatte keinen Steifen dabei, als ich eine zwanzigjährige Brünette mit Aktentasche ansah. Ich dachte, wir seien ein Paar, nur dürfte sie das nicht zugeben. Ahnlich ging es mir mit anderen.
Ich hatte keinen Steifen, schien aber meinen Schwanz jeweils nach meiner vermeintlichen Partnerin auszurich-
ten. Zu Hause erzählte ich natürlich nichts; Hummel hatte Urlaub, und zu der Vertretung konnte ich nicht hin, der war vielleicht von der anderen Seite. Ja, die gab es auch. Ich ging in den Plus, um mir gebackene Bohnen zu kau-
fen. Die hatte ich bei meinem ersten Besuch in England kennengelernt. Vielleicht war ich ja auch ein englisches Projekt. Mrs. Jepsen, bei der ich meist wohnte, wenn ich auf der Insel war, hatte mir mal erzählt, daß sie im Krieg
Churchill begegnet sei. Und der hatte sie wahrscheinlich instruiert. Ich war ein Versuchskaninchen. Das war ver-
mutlich das verkehrte Wort, aber mir fiel nichts anderes ein.

Eine Weltrevolution durch mich. Es war ja so gewesen, so weit waren wir schon mal, daß Major Smith mein Vater war, der mich mit meiner Mutter gezeugt hatte. Um zu zeigen, daß es nach dem Krieg auch gute Deutsche gab. Man wollte mit mir experimentieren, wie man einen guten Menschen macht. Und mein Vater Hennes war der deutsche Agent. Die Engländer hatten aus diesem ehemaligen Nazi einen Sozialdemokraten gemacht, der mich erziehen sollte.
Leider trank er viel, und ich folgte ihm nach. Erst durch die Literatur wurde ich zu einem guten Menschen, und die Literatur lebte ich jetzt. Ich war ja immer wieder nach England gefahren. Auf Befehl sozusagen, obwohl ich scheinbar freiwillig hinfuhr, um Englisch aufzutanken, und ich war sechs Wochen bei Mark und Judy, ohne sie anzurühren. Und sie führten mich ihrer Schwester zu, aber wir durften kein richtiges Paar werden, noch nicht mal richtig ficken, denn so was wie Kafka heiratet nicht. Aber er war verlobt und hatte eine Freundin.
Da kam schließlich Bärbel ins Spiel, die Frau meines Mitspielers. Sie war quasi angesetzt, mich zu entjungfern, und sie hatte es dann auch getan. Sie war außerdem Agentin, ebenso wie ihr Mann, der von unserer Affäre genau wußte. Das Kind durfte nicht geboren werden, aber man hatte den Fötus untersucht und irgendwelche Erkenntnisse über mich gewonnen. Ich wußte nicht, welche.

Und dann kam Ute, nachdem man mich hatte fünf Jahre zölibatär leben lassen. Sie öffnete wie schon Bärbel ein
Ventil. Sie war auch eine Agentin, ich wußte aber nicht, ob sie vielleicht für die andere Seite arbeitete. Wer war die andere Seite? Der Russe, der Teufel ? War das nicht dasselbe? Und diese Seite, das war der Pop. Die Literatur gehörte dazu. Ich war eine Popfigur, und es würde gezeigt, daß der Pop dem Sturen überlegen war. Das hatten schon die Beatles bewiesen. Warum aber sollte ich keinen Roman schreiben? Hielt man mich tatsächlich davon ab? Inwieweit konnte ich selbst bestimmen? Ich hatte immer gemacht, was ich wollte. War das so? Einen Weg, wie ich ihn gegangen war, konnte man nicht als ideal bezeichnen. Ich sollte ausprobieren.

Ich kaufte die Bohnen. An der Kasse saß nicht, wie üblich, Fräulein Matzko, sondern eine Aushilfe in einer Hose
aus imitiertem Leder. Ich richtete mich auf sie aus, und wir schienen zu ficken. Hans, ein Lehrer, mit dem ich befreundet war, wurde Vater, und er hatte mir erzählt, daß er nicht wußte, wie es dazu gekommen war. Mir fiel ein, daß ich in jener Zeugungszeit mal einen Moment mit seiner Frau allein im Wohnzimmer gewesen war, als ich meine erste Psychose hatte, und wir schienen solch einen intensiven, vollkommen körperlosen Kontakt zu haben, daß es zu einem Fick kam, bei dem das Kind entstand. Das war natürlich irre und nie im Leben wahr, aber als das Kind zwölf Jahre später mal bei uns war, interessierte es sich sehr für meine Buddy-Holly-Magazine.
Freitags würden Ludger und ich zur Buchmesse fahren. Ich war mit Müller-Schwefe und Ingrid Klein verabredet,
aber die ganze Buchmesse drehte sich nur um mich. Schon tags zuvor sollte gegen zwölf der neue Nobelpreisträger
für Literatur verkündet werden. Ich war auf dem Weg von der Uni. Zu Hause schaltete ich das Radio ein. Ich war sicher, ich würde die Auszeichnung erhalten, als erster für einen ungeschriebenen Roman, in Vertretung für Kafka,
Joyce, Musil, die sich noch mit Schreiben abplacken mußten und den Nobelpreis doch nicht bekamen. Natürlich erhielt ich ihn erst mal nicht. Das Projekt war noch zu frisch. Ein unbekannter tschechischer Lyriker bekam den Preis, und mir fiel keine Parallele zu ihm ein. Ich würde mir was von ihm besorgen, wenn's was gab.

Wir fuhren am nächsten Tag mit Ludgers Wagen los, und er erzählte mir, was es Neues von Peter Hammill gab.
Wir fuhren die Sauerlandlinie entlang. Je höher wir kamen, umso nebliger wurde es.
Ich mochte die Wälder. Ich war schon lange in keinem mehr gewesen.
Zuletzt in Witten, als ich einen Baum suchte, an dem ich mich aufhängen konnte.

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