Paul und Paula
eine kleine literarische Fingerübung
Muss ich die Fenster meiner Zelle eigentlich selber putzen?
Der Beamte verdrehte die Augen. Spielt das eine Rolle?
Nein, Entschuldigung, ich frag ja nur…
Paul senkte seinen Blick auf die Ermittlungsakten.
Paula M. * am 23.3.1964.
Sie war dann also knappe 19 als sie sich Anfang der 80er kennengelernt hatten. Ein „echter Wirbelwind“ wie sie sich gerne auch selber beschrieb.
Der Frühling brachte seine ersten heißen Tage, und Paul nahm Paula zum ersten mal mit in seine Studentenbude. Mensch, so dreckig geht’s bei euch Intellektuellen zu, hab ich‘s mir doch gleich gedacht! Sie lachte. Ach ja, ach lass doch – er zierte sich -aber sie war schon nicht mehr zu bremsen.
Jedes seiner Bücher, bestimmt 7-8 Regal-Meter, alles, von den abgegrabbelten Reclam-Gelben bis zur guten Fachliteratur, wurde säuberlich abgestaubt.
Jedes Tinnef-Teilchen jeder Bilderrahmen wurde in die Hand genommen, Regalbretter und Schreibtisch wurden gewischt. Dann ging es ans Ausramschen und Umräumen. So nannte sie das. Ein paar Mülltüten wurden gefüllt, und hinterher stand nichts mehr dort, wo Paul es zuvor fallen gelassen hatte.
Als sie schließlich mit dem Staubsauger durchs Zimmer gewirbelt war, sagte Paula, sie hätte das das Gefühl, dass sie soeben höchstpersönlich den Winter vertrieben hatte.
Zum Schluss das Glas, Paul! - und während Paula auf der Fensterbank balancierte und die Fenster polierte, stellte er sich vor, dass die Leute von der Straße zu ihr nach oben in den 5. Stock schauten und die Köpfe schüttelten. Sie lachte. Und er lachte auch.
Vorsichtig schlang er seine Arme um ihre Knie um sie sanft anzuheben und erst auf seinem Studentenbett wieder herabzulassen. Es ist doch Frühling, und die Triebe sprießen, raunte er ihr ins Ohr.
So war ihre erste Jahreszeit. Paul blinzelte. Sie waren Paul und Paula. Wie in dem DDR Film. Wie oft hatte er doch anfangs auch versucht, ihr diese besondere Romantik näher zu bringen, die er zum Beispiel bei dieser Geschichte empfand.
Ihr Unverständnis für „all den komischen Literatur-Kram“ reizte ihn ein wenig, aber dieser, er nannte es „elektrische Reiz“, ihre Einfachheit, war auch Teil einer ganz besonderen Ausstrahlung und Anziehungskraft. Damals. Sie war ein wenig stämmig, fast schon etwas plump, aber doch auch irgendwie grazil und nicht unattraktiv, fand Paul.
Auf Frühling folgte der Sommer. Und die Romantik war vielleicht schon da nicht mehr ganz so elektrisch, sinnierte Paul. Es lag nun schon so lange zurück.
Und Paula putzte weiter. jeden Frühling, jeden Herbst, jeden Sommer, jeden Winter.
Aus dem Studenten Paul wurde irgendwann inzwischen ein Herr Studienrat, ein Herr Doktor Paul.
Paula blieb Paula Und sie putze weiter.
Aus der Studentenbude wurde eine zentral gelegene Stadtwohnung. Gute Substanz, zu groß für ohne Kinder, aber viel Platz für seine Bücher, wieder 5. Stock, schlecht finanziert und Hausgeld zu teuer.
Und Paula putzte.
Jeden Frühling.
Jeden Herbst.
Jeden Sommer.
Jeden Winter.
Jeden Monat.
Und aus Paula dem Wirbelwind wurde Paula die Putzdrohne. Oder Berta der Brummkreisel. Aber sie hieß ja nun mal Paula.
Und Paula putzte.
Jeden Frühling.
Jeden Herbst.
Jeden Sommer.
Jeden Winter.
Jeden Monat.
Eigentlich immer.
Sie balancierte auf der Fensterbank. Er stellte sich schon lange nicht mehr vor, dass jemand von der Straße zu ihr nach oben in den 5. Stock schaute. Niemand schaut, er wusste es einfach.
Und vorsichtig schlang er seine Arme um ihre Knie…
Seineszeichens kleiner Chef des Großen Ganzen